NDR drückt auf die Tube und entdeckt die Creators FMB-Rundbrief 124
 
   

NDR drückt auf die Tube und entdeckt die Creators

Gedankensplitter zum Film- und Medienforum Niedersachsen 2016 in Lüneburg.

Ein glänzend aufgelegter Dr. Michael Heiks von TV Plus setzte mit dem „Botticelli - Inferno“ ein erstes großes Ausrufezeichen. „Wir kommen alle in die Hölle!“ - Wenn man in die Welt guckt, ist man geneigt, dieser einfachen Wahrheit zu folgen. Und wer über Humor verfügt, kann auch mit reinem Gewissen lachen. In seiner glatten und perfekten Machart steht die oben genannte Dokumentation in einer Reihe mit den aufwendig produzierten Inhalten, die die BBC oder „National Geographic“ so populär gemacht haben. Und trotzdem ist „Botticelli - Inferno“ laut Heiks, in der Auswertung ein sperriges Produkt, das man nur sehr schwer in die Kinos oder auf Netflix bekommt. Dokumentationen sind im Kino nicht gefragt und Netflix braucht dringend Serien, um Abonnenten zu generieren. Alles 4K gemacht und trotzdem – die Wege des Marktes sind unergründlich.

Eine ähnliche, weil ambivalente Dialektik entfaltete sich um dem NDR, der mit einem Millionen-Budget als „FUNK“ in die sozialen Netzwerke investieren wird. Die gebührenfinanzierten und neuen Web-Formate werden demnächst dem Unternehmen Youtube kostenfreien Content bescheren, wie C. Cay Wesnigk (Vorstandsvorsitzender der ONLINEFILM AG) in einer Podiumsdiskussion anmerkte. Auch bei der Vorstellung der Formate durch die Redakteurin Yvonne Olberding wurde deutlich, dass es nicht unbedingt spritziger und origineller wird, sondern lediglich die Märkte neu sortiert werden müssen. „FUNK“ trifft sich auf der Mitte mit den Creators von Youtube. Der NDR wird ein bisschen „youtubiger“ und die Creators etwas „funkiger“. Ein Spagat zwischen „Broadcast for you“ und „Broadcast yourself“. Die Prognose, dass es einfältiger werden könnte, scheint nicht weit hergeholt. Besonders die journalistischen Web-Dokus von der Produktionsfirma „Sendefähig“, wie z.B. das „Y-Kollektiv“, enttäuschten. Ihr bewusst gewollter und subjektiver Journalismus führt hier in einen nicht lösbaren Widerspruch – besonders, wenn „tote Hühner“ gegen „Tote im Krieg“ gegeneinander ausgespielt werden, weil Hühnerfarm-Skandal und Aleppo tagesaktuell unbedingt abgearbeitet werden müssen. Das ist ein zu hoher Preis, um die Web-Community für sich zu gewinnen, bzw. Aufmerksamkeit zu erregen. Vielleicht wäre es besser, NON-Journalisten, wie einem „Frank Hanebuth“ und einer „Margot Käßmann“ Kameras in die Hand zu drücken. Dann wird es norddeutsch, authentisch und eine subjektive Meinung zu Krieg und Toten haben die Margot und der Frank ganz bestimmt auch.

Aber kommen wir nun zu den Creators und der Umfrage „Wer sind die Creators auf YouTube?“ von Christian Seemann (Hochschule Mainz), eine Studie, die von der Film und Medien Stiftung NRW in Auftrag gegeben wurde. Die Präsentation der Folien war sehr komprimiert, knackig und überaus sportlich. Die Zahlen sprechen für sich. Und hatte man es vorher nur geahnt, dann wird es jetzt durch Zahlen belegbar. Der Profi-Creator ist doch älter, verfügt auch über mehr Bildung und steckt natürlich mehr Zeit in die Umsetzung und Postproduktion seiner Clips. Aber auch sie (die Profis) haben irgendwann ein Problem mit der Reichweite, der Zeit und dem Geld. Deshalb würden sie einen Support durch Dritte stark begrüßen, und mit diesem Know-how und entsprechender Monetarisierung gerne eine „echte“ Professionalisierung erreichen. In der Studie wurde nämlich der Profi durch die Zeit definiert, die er in seine Clips investiert. Wenn man aus allem die richtigen Schlüsse zieht, kann der NDR auf YouTube fette Beute machen, denn er bekommt Leute in sein Fangnetz, die nicht nur bereit für Cooperation sind, sondern auch schnell weitergeschult werden können. Die Gefahr ist gering, dass der NDR Hauptschüler umschulen muss. Da die Besucher des „Film und Medienforums“ deutlich älter waren als das Durchschnittsalter des Creators und seiner Zuschauer, gab es im Publikum die Idee, die eigene und jüngere Verwandtschaft zu evaluieren. Das sorgte für Heiterkeit - aber ganz so dumm ist die Idee nicht, wenn man die Suchzeit für willige YouTube-Protagonisten verkürzen will.

Aus der Umfrage geht auch hervor, dass Spaß, Kreativität und Unterhaltung für die Creators am wichtigsten sind. Das klingt so gewöhnlich, wie die Erwartungen, die wir an das „iphone 7“ stellen. Subversivität und Information dürfen wir nicht erwarten, denn die Creators verstehen sich nicht als Journalisten oder Autoren. Ausnahmen bestätigen die Regel. Genauso wenig können sie sich Aktivitäten außerhalb von YouTube vorstellen. Sie sind in dieser Hinsicht meist opportun und konservativ. Das Credo der Creators heißt in der Summe: Unterhalten und Helfen. Wer hilft, kann mit Dankbarkeit rechnen, und segelt unter dem Radar der puren Selbstdarsteller. Mir fallen spontan Ratgeber-Clips auf YouTube ein, wie man Spannbettlaken sauber gefaltet bekommt oder Waldmeister-Sirup zubereitet. [ironiemodus off] Dafür bin ich wirklich dankbar. [/ironiemodus off] Die Korrelation zwischen Mitteilungsbedürfnis und Wahrnehmungsbedürfnis bleibt in der Studie unklar.

Ich würde gerne noch eine Untersuchung der Kultur- und Sozialwissenschaftlichen Universität Luzern von Conradin Knabenhans hinzuziehen - Youtube - Das «Archiv» der Gegenwartskultur auf dem Prüfstand. Hier wurde YouTube insgesamt erfasst, nicht nur die Creators. Das ist insofern interessant, weil es gut zeigt, wie hoch die Reichweite der YouTube-Nutzer ist, die tatsächlich selber Inhalte produzieren. Demnach entfallen 77 Prozent auf kommerzielle Anbieter (hauptsächlich Musik), gefolgt von 17% privaten Nutzern, die fremdproduzierte Inhalte portieren. 5% bleiben für die Creators übrig, die tatsächlich mit selbstproduzierten Inhalten die Zuschauer erreichen. In diese Lücke oder Nische stößt nun FUNK, das neue, junge Angebot vom NDR – allerdings auf den deutschsprachigen Anteil in diesem Segment beschränkt. Für Yvonne Olberding gilt trotzdem, frei nach einem chinesischen Sprichwort: Wenn du deinen Gegner nicht besiegen kannst, dann musst du ihn umarmen. Denn hinter YouTube steht die Weltmacht Google.

Knabenhans zitiert den Kulturwissenschaftler Roman Marek, der zwei Nutzergruppen unterscheidet: „Entscheidend ist, dass professionelle Nutzer strategisch handeln, d.h. mit ihren Veröffentlichungen verfolgen sie – meist kommerzielle – Ziele. Doch auch Amateure würden ökonomisch motiviert agieren, weil sie «etwas produzieren, um etwas anderes dafür zu erhalten, sei es nun Aufmerksamkeit, Prestige, Selbstwert oder Anerkennung» So sagt auch Nora Mathy 2008 in „Amateure der visuellen Kultur“: „Immer schwieriger wird jedoch die Charakterisierung des Amateurs; viele von ihnen orientieren sich – gerade im Videobereich – sehr stark an der Ästhetik der professionellen TV- oder Filmproduktion. So kann zwar unterschieden werden, wer von den Produzenten ihren Lebensunterhalt mit diesen Produkten verdient, doch für viele Filme und Erzeugnisse greift die Definition zu wenig weit, «da zahlreiche Amateure hinsichtlich technischer, ästhetischer und innovativer Umsetzung, aber auch hinsichtlich des zeitlichen Aufwandes den Professionellen in nichts nachstehen“ Jetzt haben wir 2016. Die Technik ist noch besser und gleichzeitig billiger und lässt den Vorsprung zum Profi noch mehr schrumpfen. Die Formen und Inhalte hingegen stagnieren, weil der eine bei dem anderen abguckt.

Auf einer Plattform wie YouTube ist die Monetarisierung fast zwangsläufig. Immer mehr Medien- und Internetunternehmen kaufen mit kommerziellen Absichten vermehrt UGC-(User-generated content)Plattformen. Die Nutzer werden im Gegenzug für ihre Inhalte bezahlt, wenn es auch nur wenige sind. Diese Kommerzialisierung führt gemäß OECD (Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung) dazu, dass einige Nutzer nach einer nicht-kommerziellen Anfangsphase zu Profis werden. Für Knabenhans sind aus wissenschaftlicher Sicht deshalb drei Aspekte besonders zu beachten: „Wie verändert sich Youtube inhaltlich (noch mehr offizielle Inhalte massenmedialer Produktion)? Welches Verhältnis haben Amateur und Youtube (zurück zu den Wurzeln oder Verdrängung)? Welche zusätzlichen Bezahlmodelle führt Youtube ein (z.B. kostenpflichtige Premium-Accounts)? (Anmerkung des Autors: 2013 konnte Knabenhans nicht wissen, das mit „YouTube Red“, eine werbefreie und deshalb kostenpflichtige Version von YouTube, auf den Markt kam – eine Reaktion auf Netflix) Schafft die Plattform den Spagat, die Zuschauer trotz der vielen Werbung und kommerziellen Nutzer bei der Stange zu halten, oder suchen sich diese einen neuen Ort? Wird der Amateur Youtube trotz Kommerzialisierung für seine Videos noch nutzen können?“

„Youtube - Das «Archiv» der Gegenwartskultur auf dem Prüfstand“ von Knabenhans kann ich nur wärmstens empfehlen, da es auf über 120 Seiten sehr detailreiche Beobachtungen leistet; da ist YouTube zu Gast beim Internisten. Ich selbst nutze YouTube primär als Archiv. Es ist das größte Bewegtbild-Archiv, aber auch ein sehr unsicheres Archiv. Das mit viel Mühe hochgeladene kollektive Gedächtnis bzw. die Erinnerungsmaschine wird immer wieder von Löschungen und Sperrungen heimgesucht. Das Netz vergisst nie? Vergiss es! Das Netz ist eben doch vergesslicher als man denkt. Während ich an diesem Artikel schreibe, kam gerade die Nachricht rein, dass sich die Gema und YouTube geeinigt haben. Das Archiv ist um den Anteil zuvor gesperrter Musikvideos angewachsen. Ein Novum! YouTube zahlt nun die Verwertungsrechte. Davor wollten sie diese Kosten immer auf die Nutzeruploads abwälzen, eben jene die Madonna und Co hochgeladen haben. Dass am Ende nur Madonna und Co davon profitieren werden, versteht sich von selbst.

In jeder Minute werden 72 Stunden Videomaterial hochgeladen, 4 Milliarden Stunden Bewegtbilder werden jeden Monat konsumiert. „Wir kommen alle in die Hölle!“ Wie gut, dass es die „mobfish GmbH“ gibt. Ich setzte in der „Media Night Lüneburg“ zu vorgerückter Stunde eine ihrer VR-Brillen auf, trackte elegant mit meinem Auge den Button für das Drohnenvideo und hob ab, und war dem Himmel wieder ganz nah. Schöne, ambivalente Welten.

Autor: Carsten Aschmann

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