Aufsatz über Abzocke auf Filmfestivals im FMB-Rundbrief 122
 
   

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and so on and so on

 

 

Im Karneval wird die Kamelle zum Wagen hinaus geschmissen. Kinder füllen ihre Plastiktüten. Je mehr desto besser. Aber wehe, wehe, wehe! Wenn ich auf das Ende sehe! Karies, Bauchschmerzen und Adipositas. Ganz andere Nebenwirkungen erwarten uns durch zuviele Filmfestivals. Bereits im letzten Rundbrief wurde über Abzocke von Filmemachern durch Filmfestivals und Vertriebe gesprochen. Als ich den Artikel las, wusste ich noch nicht, dass ich schon sehr bald selbst Erfahrungen zu diesem Thema machen sollte. Reelport und andere Einreichplattformen werden wohl kaum Kontrollen durchführen, um uns Filemmacher davor zu schützen. Die Hoffnung der Kollegin Julia Dordel, kann ich leider nicht teilen. Die Motivation abzuzocken, schädigt auf Dauer nicht nur die Filmemacher, sondern am Ende könnte es die gesamte Festivalkultur beschädigen.

Das Festival ›Deauville GreenAwards‹ in Frankreich erfüllt als Abzocker alle not- wendigen Kriterien. Voila! Letztlich wollte das Festival pro Kurzfilm 280.-€ von mir. Die Mitarbeiterin des Festivals gab sich davor fast zwei Wochen redlich Mühe, den Deal für ihre Geschäftsführer einzutüten. Dazu gehörte eine ausgedehnte Korrespondenz, eine tatsächliche Sichtung und das Bekunden die Filme zu zeigen, sogar die Programmplätze wurden schon geklärt. Es gab sogar inhaltliche Bezüge zwischen den Intentionen des Festivals und den angefragten Filmen. Das hat die Sache erst recht perfide, bzw. schwer durchschaubar gemacht. Die Einreichgebühren wurden allerdings erst im Anmeldeformular sichtbar, das als reine Formsache und letzter Schritt kommuniziert wurde. Wer von uns würde trotzdem zahlen? Es ist mir rätselhaft, aber es scheint ja zu klappen. Das Angebot war so schlecht, dass ich ablehnen musste. Es gibt eben clevere Festivals, die sich gut tarnen; die namhafte Besetzung der Jury gehört dazu und räumt scheinbar letzte Zweifel aus, so das selbst der kritische Filemenacher schwach wird.

In der Vergangenheit gab es Mails von Festivals, bei denen klar war, dass sie nur die Kataloge relevanter Festivals durchwühlt haben. Wenn ein Festival gerade im Entstehen ist, eine nachvollziehbare Akquise – kein Vorwurf. Aber ein Filmemacher, der seine Hausaufgaben erledigt hat, kennt seine Festivals. Letztlich hatte ich nie finanziellen Schaden, aber gewiss Handlungsaufwand. Es ist wie bei Trickbetrügern, sie müssenn erfindungsreicher werden, wir aufmerksamer. Wenn bei Einreichportalen höhere Einreichgebühren stehen, ist das meistens ein Ausschlusskriterium für mich. Wer sich mit Auswertung intensiver beschäftigt, wird schon wissen, was eine angemessene Gebühr für ein renommiertes Festival ist, und welche Filme überhaupt für welche Festivals infrage kommen. Deshalb scheiden derer viele aus, wie z.B. in Übersee - Honululu - was ich persönlich schade finde. Die britischen Festivals haben auch einige hochpreisige Gebühren, denen man mit einem Early-Bird, einem Frühbuchertarif, nicht wirklich entkommen kann.

Ich halte es sowieso für keine gute Idee, einen Film weltweit in die Festivals zu fluten. Die Wahrscheinlichkeit steigt, dass man Opfer von Abzocke wird. Die Wahrscheinlichkeit, dass der Film gezeigt wird, natürlich auch. Aber welche Festivals mögen das sein, und wie viel hat der Filmemacher bis dahin in seine Auswertung investiert? Wäre es nicht günstiger und ehrlicher sich stattdessen in ein Festival einzukaufen, anstatt x-mal hohe Einreichgebühren zu bezahlen, um einen Treffer zu landen.

Dann gibt es die Festivals, die einen Hauch von Hollywood verbreiten wollen, und Preise inflationär ausschütten. Es lässt sich teilweise sogar erkennen, dass Festivals alle Preise auf alle gezeigten Filme verteilen. Dort herrscht das Gießkannen-Prinzip, ein eher unglamoröses und sozialdemokratisches Prinzp. Die Logik ist bestechend: Wir alle sind Gewinner. Es werden Träume verkauft. Es werden passend zum Festival, YouTube-Channels betrieben, die kaum geklickt werden. Nichts dringt nach aussen, trotz aller Bemühungen im Netz. Es hat etwas von einem Vakuum. Man kann bereits jetzt erahnen, dass das Bedürfnis der Filmemacher/in nach Wahrnehmung, und so manches daraus entwickelte Geschäftsmodell, es der Filmkultur insgesamt nicht leicht macht. „Einmal einstellen und bei 300 Festivals dabei sein“ - fragt mich bitte nicht, welche Plattform so geworben hat. Mails dieser Art landen bei mir 60.000 Mal am Tag im Spam-Ordner.

Wie soll ein seriöses Filmfestival auf den so ausgelösten Andrang reagieren? Und wie frustriert ist der seriöse Filmemacher/in, der/die erkennen muss, dass es nicht mehr wirklich um Film geht, sondern alles in einer Eventkultur assimiliert wird? Die Antworten sind schon eingetroffen. Immer mehr seriöse Festivals sehen sich genötigt Gebühren zu erheben, um die Anzahl der Einreichungen zu drücken oder den Mehraufwand zu kompensieren. Gute Festivals, die nicht auf auf der Liste der FIAPF-akkreditierten Filmfestivals, sind bedrohter denn je. Das Gentlemen's Agreement, dass der Filmemacher/in, schon viel investiert hat, und nicht auch noch die Abspielflächen bezahlen soll, ist aufgebraucht. Sollte die Entwicklung weiter anhalten, dann können Festivals bald nur noch aus den Filmen wählen, wo für Einreichungen entsprechend Geld in die Hand genommen wird. Ist das schon Wettbewerbsverzerrung, weil es nur noch den solventen Filmemachern dient? Ist das der Preis für die One-Click-Kultur? Am Ende wird alles teurer statt billiger?! Man kann es auch wie die Viennale in Wien machen, wo eine Filmeinreichung nicht möglich ist. Sie suchen sich ihre Filme lieber selber aus, anstatt gefunden zu werden. Das ist zwar elitär, aber es vermeidet das Sichten von ungeeigneten Filmen und unnötigen Kosten für den Filmemacher. Sollte also jemand eine Anfrage der Viennale bekommen, ist es ratsam, diese ernst zu nehmen.

Woran erkennne ich nun gute Festivals? Sie laden die Filmemacher ein, bezahlen in der Regel Hotel und Verpflegung. Wenn möglich, beteiligen sich auch an den Reisekosten. Das sind die harten Faktoren, an denen sich der Filemmacher orientieren kann. Für gestandene Festivals wird es immer schwieriger, einen Kanon herzustellen, mit dem sie für junge Filemmacher sichtbar werden und den Unterschied ausmachen. Das „Les Rencontres internationales“ versucht es damit, indem es europäisch expandiert, in Madrid, Paris und Berlin gastiert. Eine weitere Anstrengung ist die Vernetzung ähnlicher Festivals untereinander, indem sie kuratierte Programme auf befreundeten Festivals zeigen. Das wären die weichen Faktoren, um die Güte von Festivals einzuordnen. Filme vom Festival XY laufen auch auf dem Festival AB. Klingt ein wenig nach Amazon-Kaufempfehlung, aber so ist es.

Ein bekannter Leiter eines von mir sehr geschätztenn Festivals hat vor einigen Jah- ren erzählt, dass die Filmemacher nur noch in bestimmten Alterssegmenten existieren (können), ein Austausch der Generationen findet nicht mehr statt. Es hat auch damit zu tun, dass sich für die Filmschaffenden so gut wie keine sicheren Einnahmen auf Festivals erzielen lassen, allenfalls Reputation. Die Organisatoren der Festivals sind weniger austauschbar, deshalb sehen sie die Filmemacher kommen und gehen, und können Entwicklungen dieser Art beschreiben. Für die Filmschaffenden bleiben am Ende nur die Preise und die FFA-Referenzpunkte für gelistete Festivals, was das Aufkommen von Einreichungen zusätzlich befeuert. Auch deshalb geht es bei Festivals niemals nur um die Filme. Der Wettbewerb ist zentral. Aber von diesem können nur wenige profitieren. Die anderen geben früher oder später auf. Wenn aus 6.000 Einreichungen knapp 100 Filme ausgewählt und 10 Filme ausgezeichnet werden, ist der Wettbewerb brutal. Man könnte es als kontrolliertes Lotto bezeichnen. Die Auswahlprozeße waren schon immer subjektiv, aber auch subjekte Entscheidungsprozeße stoßen bei diesen Zahlen an ihre Grenzen. Diese Zahlen gelten übrigens nicht nur für große Festivals in den USA, sondern werden z.B. locker von den Kurzfilmtagen Oberhausen erreicht.

Ursache der unglaublichen Vermehrung von Filmemachern, ist nicht die digitale Revolution. Die meisten Bewegtbilder landen bei YouTube oder gehen mit der nächsten Formatierung der Karte verloren. Viele haben eine Phase im Leben, in der sie/er glaubt, irgendwas Kreatives machen zu müssen. Jeder schafft zwei bis drei Filme, der Vierte tut schon weh. Kreativität lässt sich eben nicht reproduzieren. Nach dem Studium wollen die meisten doch lieber in einen normalen Beruf, der mehr Stagnation erlaubt, bzw. weniger anstrengend ist. Diese Biographien wiederholen sich endlos und sorgen stets für Nachschub und Vermehrung.

Andere betrachten Kurzfilme als Durchgangsstation zum Spielfilm oder TV, und stellen Filme her, die oft, wie zu kurz gekommmende Spielfime anmuten. Aufgrund ihrer Ambitionen sind sie besonders gefährdet, wenn im Netz der rote Teppich ausgerollt wird. Sie wissen, dass Selbstdarstellung wichtig geworden ist.

Man könnte jetzt durchaus zu dem Schluss kommen, dass dieser Jahrmarkt der Eitelkeit kein Mitleid verdient. Festival, Markt und Messe werden hier zusammengeschrumpft – gute Filme werden da schnell zur Nebensache. In der Summe schwächen alle diese Umstände die künstlerische Autonomie des Kurzfilms und damit fällt der Respekt für das Genre insgesamt.

Eine andere Entwicklung sind die Wettbewerbe mit Themenstellung. Wie soll man diese Bestrebungen einordnen? Kostenfreie Beauftragung der Filmemacher? Das Wort Abzocke will ich nicht in den Mund nehmen, aber hier wird ein Festival bzw. Wettbewerb ausgelobt, indem man Content und Filmemacher für ›lau‹ lenkt – ein kostengünstiger Event für die Veranstalter. Seltsam. Ist es bequemer eine Aufgabe umzusetzen, als eigene Themen zu forcieren? Wer von uns will über dieses Stöckchen springen?

Meine Festivalerfahrung kann den Komplex nur ausschnitthaft schildern. Einiges ist Ferndiagnose aus atomisierten Eindrücken. Somit bleibt einiges Spekulation, weil nicht aus erster Hand. Ich habe bewusst die Negativseiten leidenschaftlicher ausgeleuchtet, für die Gewinnergeschichten müssten andere ran. In einer Fortsetzung will ich dann mit belastbaren Zahlen arbeiten, damit die Verallgemeinerung zu ihrem Recht kommt. Zu oft werden relevante Diskussionen mit dem Aufzählen von Ausnahmen unterbunden. Die Regel ist entscheidend, nicht die Ausnahme. Dann wird hoffentlich deutlich, dass Abzocke zwar nicht schön ist, aber das geringere Problem. Wir Filmemacher können das abstellen, wenn wir es wirklich wollen.

P.S.: Interessierte Festivals können Lizenzen für die hier abgebildeten Preis-Kategorien erwerben. Auf Wunsch kann ich mir auch weitere Preise ausdenken.

Autor: Carsten Aschmann

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